Dienstag, 8. Januar 2013
The Times They Are A-Changin' - Bob Dylan
Das 1964 veröffentlichte dritte Studioalbum des Singer-Songwriters Bob Dylan soll nun also das erste Werk sein, das ich rezensiere.

Prolog:

Die Wahl fiel nicht rein zufällig auf diese LP, da sie für mich eine ganz besondere Bedeutung hat. Sicherlich denkt ihr jetzt: "Jaja, jetzt kommt das übliche pathetische Geschwafel von irgendsoeinen abgefahrenen Germanistikstudenten, der die olle Heulboje Dylan wieder grundlos in den Himmel hebt." Aber dem ist nicht so:

Musikalisch stamme ich ursprünglich aus den Punk und "Metalsektor härterer Gangart". Dylan war mir früher so verwandt wie die Gobi dem nach robben geifernden Eisbären. Klar, man kannte Dylan, man kannte spätestens seit "Watchmen" oder "The Wanderers" auch den Titeltrack des Albums und es hat einen schon irgendwie berührt aber gehört hat man ihn deswegen noch lange nicht. War ja eh langweilige APO-Opa Musik.

Naja wie dem auch sei. Irgendwann hat man mal Musik untereinander getauscht und da war nun dieses Album mit dabei. Naja und nach dem mal zum hundertsten mal die Misfits und zum fünfhunderdsten mal Gorgoroth gehört hat, dachte man sich: "Ach scheiß drauf: hörste mal rein..."

Rezension:

1. The Times They Are A-Changing

...und ab geht das Album mit den allseits bekannten Titeltrack. "Come gather 'round people wherever you roam" skandiert ein leicht quäkiger Liedermacher und man ist schon mitten im frühsechziger Folkäragefühl. Das gesamte Album ist auch wie dieser Track mit unauffälliger Gitarre und in den meisten Songs auch mit Mundharmonikaspiel untermalt.

Das Lied gleicht einen Aufruf zum Aufbruch, dem Ankündigen eines charismatischen Anführers zum Gehen in ein neues Morgengrauen, wo die Verhältnisse und das Zusammenwirken der Kräfte ein anderes, ein besseres sein werden. Die antithetischen Zitate vor den Ausspruch "the times they are a-changin' " wirken fast wie aus der Bergpredigt entnommen.

Überhaupt wirkt der ganze Song wie eine Predigt vor einer Gruppe, die einen Wechsel möchte. Wie der uralte Kampf des Neuen gegen das Überkommene. Das mag beliebig und unkreativ wirken. Dylan schaft es aber, den Song durch seinen ungekünstelten Gesang etwas zeitloses zu verleihen. Zweifelsohne ist "The Times They Are A-Changin' " ein Klassiker und ein absolutes Highlight, nicht nur auf den Album sondern in der gesamten Diskographie.

2. Ballad of Hollis Brown

Der Song beschreibt den Amoklauf eines verarmten Farmers aus South Dakota. Den in Drop-D gepickten Song untermalt Dylan mit einen hypnotischen Gesang. Ursprünglich sollte der Song schon auf "The Freewheelin' Bob Dylan" veröffentlicht werden, schaffte es dort jedoch nur auf die Outtake Liste. Michael Gray attestierte den Song sowohl im Pickingstil als auch in der Melodie einen "appalachischen Touch".

Sicherlich ist Hollis Brown kein schlechter Song. Auf jedenfall hat der Song eine starke düstere Sogkraft, jedoch wirkt er zwischen den Epochalstücken "The Times They Are A-Changin' " und "With God On Our Side" etwas verloren und verblasst sehr leicht in den Gehörgängen zu einen unwohlen, mahnenden und grauhämmernden Rufen, das meilenweit entfernt scheint.

3. With God On Our Side

mit einen kurzen Bluesharp Intro beginnt die große in einen Folksong gefasste Frage, inwiefern der Glaube an Gott für alle möglichen weltlichen Verfehlungen und Verbrechen missbraucht werden kann. Auf der Melodie "The Merry Month Of May" basierend, schildert er in kurzen Abrissen die U.S.- amerikanische Geschichte bis hinein in die damalige Jetztzeit. Wie auch später bei "The Lonesome Death Of Hattie Carroll" liegt die Pointe des Stücks in der Veränderung des refrainesken Strophenendes "..with god on our side" hin zu "when god is on our side he'll stop the next war".

Der Song nimmt einen schon mit. Die gewohnt unreine Vortragsweise von Dylan haucht den Lied wirklich mächtig Seele ein. Mit gekonnten Tempimodifikationen werden einzelne Passagen in ihrer Aussage verstärkt - eine große Stärke des aus Minnesota stammenden Ausnahmetallents. Trotz seiner gerade für damalige Hörgewohnheiten etwas größeren Länge hat der Track keine Längen. Man sitzt einfach da und hört Dylan zu (man hört ihn gerne zu) und man beantwortet die Fragen die er stellt, aufrichtig. Mir ging es selbst so, dass ich nach den Song mich erstmal mit ein paar Leuten traf (sicherlich nicht deswegen) und erstmal über den Inhalt herumphilosophiert habe. Tja Bob- mission accomplished! ;p

4. One Too Many Mornings

ein sehr ruhiger Track über ein einsames Nachdenken, das höchstwahrscheinlich eine wie auch immer geartete Beziehung reflekriert. Die beschriebene Szenerie wurde mit geeignet zurückhaltend- desillusionierten Timbre nur folgerichtig vertont. So erzeugt er in Kollaboration mit der sanft gespielten Mundharmonika ein wirklich markantes und merkwürdig schönes Ambiente, ähnlich eines fallenden Blattes von spätherbstlichen Bäumen.

5. North Country Blues

der irischste Song auf den Album (auf der LP der letzte Track der A Seite) thematisiert die Lebensgeschichte eines Mannes, der wie der Farmer im 2. Song im armen Verhältnissen lebt. Was soll ich zum North Country Blues sagen? Er ist nicht schlecht, wirkt für mich aber auf den Album deplatziert. Er hätte sich besser auf den Nachfolgealbum gemacht, zwischen "My Backpages" und "Ballad in Plain D" hätte er sicherlich eher seine Wirkung erfüllt. So wirkt er eher wie eine Atempause vor den klassischen Zeigefingersong...

6. Only A Pawn In Their Game

...welcher der erste der beiden Songs über den Mord an Afroamerikanern darstellt. Medgar Evers, um den es im Stück geht, war ein Schwarzer Bügerrechtler, der von einen weißen Rasseideologen erschossen wurde. Dylan erkennt meines Erachtens zu Recht, dass der Mörder ein Spielball in den Händen der Mächtigen war (worauf der Songname wortspielerisch verweist ---> pawn in the game) und bildet so einen gedanklichen Ausbau des Phil- Ochs- Songs "Too Many Martyrs", welcher ebenfalls den Mord an den farbigen Aktivisten Evers behandelt

In Fünf Strophen wird diese These musikalisch gewohnt mit Schwerpunkt auf den Text vertont und stellt für mich mit Biermanns "Ballade vom Briefträger William L. Moore aus Baltimore" den wichtigsten Teil der Kopunktalität der Protestsongs über die Schwarze Bürgerbewegung dar.

7. Boots of Spanish Leather

Die Liebesballade dreht sich thematisch um einen Dialog von Mann und Frau. Der Mann vermisst die Frau, welche eine Reise über das Meer machte. Sie fragte, was sie von der Reise mitbringen solle und der Mann entgegnet, dass er nur sie wiedersehen möchte. Am Ende des Songs klärt sich auf, dass die Frau nicht mehr wiederkommen wird.

Der Song berührt - ganz klar. Man hat oftmals ein großes Wiedererkennungsgefühl. Nicht zu Unrecht taucht der Song auf jeden guten Dylan Best-Of auf.

8. When the Ship Comes In

Der (konsequenterweise) konsequent in Wassermetaphorik vorgetragene Song geht auf einen missglückten Check in Dylans in einen Hotel zurück, da man Bobby Zimmerman damals für einen ungewaschenen Streuner hielt.

Ein netter kleiner Song, der die Bühne vorbereitet auf ein monumentales Stück Folkgeschichte:

9. The Lonesome Death Of Hattie Carroll

meines Erachtens nach einer der besten, wenn nicht sogar der beste Song aus der Feder des Singer/Songwriter- Übervaters. Die Verbindung zwischen der musikalisch melancholisch-sentimentalen Untermalung und den beinahe nüchtern- deskriptiven Lyrics erzeugten bei mir eine aufwühlende Gerührtheit, die nach kurzen Innehalten gleich die Hintergründe der besungenen Begebenheit herausfinden wollte. William Zantzinger, Gast eines Dresscode Balls attackierte im Alkoholrausch mit einen Gehstock drei Angestellte, eine davon Caroll, welche in Folge ihren Verletzungen schließlich verstarb. Er wurde schließlich auf Grund seines Vollrausches und den damaligen juristischen Konventionen zu 6 Monaten Haft verurteilt.

Musikalisch finden wir einen in C-Dur geschriebenen Folksong wieder, der mit seiner Akkordfolge C-Am-Em eben jene beschriebene sentimentale Melancholie erzeugt. Der Refrain schließt sich nach kurzen G Zwischenklängen mit den elegischen Sprung zur Subdominante an, welche dann bedeutungsschwanger über die Dominante wieder zur Tonika, welche kurz in A-moll verweilt, um andächtig einen zweiten Gang über Subdominante und Dominante wieder zur Tonika zurück anzukündigen.

Textlich beschreibt Dylan in seinen vier Strophen den Hergang des Geschehens. Die erste Strophe stellt Handelnde und Begebenheit kurz vor, während sich die zweite Strophe Zantzinger und die Dritte Carroll zuwendet. Nach einen Mundharmonikazwischenspiel kommt die vierte, resümierende Strophe.

Der Refrain, der sich direkt an den Zuhörer wendet klagt selbigen an, über Schande zu philosophieren und Furcht zu kritisieren und erklärt, die Lumpen vom Gesicht zu nehmen, da es noch nicht Zeit für die Tränen sei.

Dylan hat mit diesen Song sicherlich das Maximum erreicht: Er hat Leute zum Nachdenken gebracht. Und mehr als das... Über die Tat, über die zeithistorischen Umstände und über die Reflexion der Gegenwart. Nicht nur über den einsamen Tod von Hattie Carroll, vielmehr über die Tatsache, wie mit den Andenken an Menschenleben umgegangen wurde, wie es verhandelt wurde, wie halbjährige Gefängnisstrafen für Mord sich wie Totschlag für Angehörige anfühlen musste. Ein ganz starker Song von Dylan mit einer unwirklichen Energie, die er bestenfalls noch in "A Hard Rain's A-Gonna Fall", "Masters of War" und "Dark Eyes" erreicht hat

Nach der vierten Strophe skandiert Dylan
"Bury the rag deep in your face.
For now's the time for your tears."

10. Restless Farewell

Basierend auf The Parting Glass, einen irischen Folksong (Dylan nutzte schlauerweise oftmals Songs und Songstrukturen aus den irischen Folk und der irischen Folklore) besingt der damals 22 jährige Interpret einen rastlosen Abschied. Das wehmütigste Lied stellt einen würdigen Closer dar und durch ihn weiß das Album auch noch in seinen finalen Momenten zu berühren.

Eine sehr gedämpfte, oftmals gezupfte Gitarre mit Dylans typischen leidenden Gesang macht auch dieses Lied völlig hörenswert.

Beurteilung

Ohne Zweifel war Bob Dylan zur damaligen Zeit wohl einer der besten und poulärsten Geschichtenerzähler. Weder, weil er ein begnadeter Sänger war, wie Ochs oder vor allem der "Gentleman Hobo" Cisco Houston, noch, weil er seine Gitarre ähnlich Guthries oder der altvorderen Blusgiganten wie Blind Willie Johnson und Konsorten in neue Himmel erheben konnte, sondern weil er Authenzität ausstrahlte, die nötige Hippness besaß und zum Liebling einer neuen Generation avancierte. Und dies alles nicht zu unrecht. Seine Songs besitzen Seele. Kein Lied des Albums ist ein Reinfall, alles wirkt kompakt, harmonisch und abgerundet. Die Texte sind durchdacht und die Melodien eingängig. Mehr Zutaten brauch es gelinde gesagt nicht, um ein Spitzenwerk wie "The Times They Are A-Changin' " zu kreieren.

Zugegebenermaßen wird Dylan heutzutage etwas zu sehr überhöht, gerade in der Fachpresse (wenn zum Beispiel der Rolling Stone den Song "Like A Rollin' Stone" zum besten Song aller Zeiten deklariert und selbiges einfach nur lächerlich wirkt) aber einer gewissen Faszination kann man sich einfach nicht entziehen. Dafür sind seine Folkalben einfach zu gut und dieses Album ist in seiner Gesamtheit sicherlich das Beste, was Bobby Zimmerman alias Bob Dylan jemals aufgenommen hat. Zwar gibt es auch ganz ganz große Songs auf anderen Alben aber in deiner Gesamtheit ist dieses Album herausragend.

Texte: ---------------- 14/15
Musik: ---------------- 12/15
Hörspaß: ------------- 13/15
Albumharmonie: --- 11/15
Im Genrekontext: -- 15/15
Nachhaltigkeit: ------14/15


Stärkste(r) Song(s): The Lonesome Dead of Hattie Carroll, The Times They Are A-Changing
Schwächste(r) Song(s): North Country Blues, When The Ship Comes In

Vergleichbar mit/ zum weiterhören geeignet:

Phil Ochs: I Ain't Marching Anymore (1967)
Cisco Houston: The Folkway Years (1944-1961)
Dave van Ronk: Inside Dave van Ronk (2006)